Eine kurze Geschichte des Verlags

DER ERFINDER

Am 1. Juli 1827 eröffnete Karl Baedeker in Koblenz am Kleinen Paradeplatz (heute Görresplatz) seine Verlagsbuchhandlung. Weshalb er sich ausgerechnet am Rhein niederließ, kann man nur vermuten. Seine Geburtsstadt Essen jedenfalls, wo er am 3. November 1801 als Sohn des Buchdruckers Gottschalk Diederich Baedeker und dessen Frau Marianne Dorothea geboren wurde, war zu jener Zeit noch ein bescheidenes Landstädtchen. Koblenz dagegen, seit 1815 Hauptstadt der preußischen Rheinprovinz, lag inmitten eines aufstrebenden Fremdenverkehrgebiets. Insbesondere Engländer hatten das malerische Rheintal bis hin zur Schweiz entdeckt. Zudem wurde 1827, im selben Jahr der Firmengründung, die Preußisch-Rheinische Dampfschiffahrtsgesellschaft für den regelmäßigen Schiffsverkehr zwischen Köln und Mainz eröffnet, die bereits im ersten Jahr ihres Bestehens 18 000 und zehn Jahre später schon über eine Million Passagiere beförderte. Das sah doch nach einer Perspektive aus.

Karl Baedeker

Im Angebot von Baedekers Buchhandlung war davon allerdings noch wenig zu merken. Am 24. August 1827 inserierte er im Coblenzer Anzeiger:

Die neuerrichtete Buchhandlung von Carl Bädeker [..] empfiehlt ihr Lager der besten ältern und neuern Schriften jeglicher Wissenschaft, Taschen-Ausgaben deutscher und ausländischer Klassiker, Landkarten, Kinderschriften, Reisehandbücher, sämmtlicher bei Tauchnitz, Teubner und Weigel erschienenen Ausgaben griechischer und römischer Klassiker, Wörterbücher ect. ...

Ein breites Sortiment für ein breites Publikum, in dem von Reiseführern noch keine Rede ist, aber immerhin schon „Reisehandbücher" dazu gehörten. Reiseliteratur in weit größerem Umfang hatte sein Konkurrent Friedrich Röhling auf Lager, der seine Buch-, Kunst- und Musikalienhandlung zwei Tage vor Baedeker in der Rheinstraße 13 in unmittelbarer Nachbarschaft eröffnet hatte und ebenfalls inserierte:

Außer einem Lager von allen in Deutschland erscheinenden Büchern aus allen Fächern der Literatur, findet man [...] einen Vorrath von Kupferstichen, radirten Blättern, Ansichten des Rheins, der Mosel und der Lahn; der Bäder: Ems, Schwalbach, Schlangenbad, von Frankfurt a/M, der Bergstraße, der Schweiz ect., sowohl schwarz als auch illuminirt. Ferner: Reisehandbücher, Pläne, Post-, Reise- und andere Landkarten [...]

Röhling war aber ein lausiger Geschäftsmann und verschuldete sich erheblich. Im April 1832 verkaufte er sein Geschäft und die Rechte an den von ihm verlegten Büchern an Karl Baedeker. Darunter war ein Schatz: Die bereits 1828 erschienene „Rheinreise von Mainz bis Köln" des Koblenzer Gymnasialprofessors Johann August Klein - wohl ein Bestseller, denn noch im selben Jahr ließ Karl Baedeker das Buch nachdrucken, nur ergänzt um eine Rheinlaufkarte. Schon 1835 erschien die zweite Auflage, erheblich erweitert, denn nun ging es schon von Straßburg nach Rotterdam. Ob nun der Nachdruck oder die zweite Auflage der „Rheinreise" der erste Baedeker war, ist Ansichtssache. Es fehlte jedenfalls noch ein eigener Stil.

Den hatte aber schon John Murrays 1836 erschienenes „Handbook for Travellers on the Continent", mit dem viele Engländer auf und am Rhein unterwegs waren. Karl Baedeker, in seinem Verleger-Ehrgeiz getroffen, sah sich diese „red books" genau an und entwickelte sie weiter. In der 1839 erschienenen dritten Auflage der „Rheinreise", nun von Basel bis Düsseldorf und noch im gelben „Biedermeier-Einband", hatte er seine Ideen verwirklicht:

Das praktische Bedürfnis ist des Herausgebers erster Zweck, lautete sein Credo, und:
... ist er [der Verleger] bemüht gewesen, die U n a b h ä n g i g k e i t des Reisenden so viel wie möglich zu befördern, und ihn von der kostspieligen und lästigen Begleitung der L o h n b e d i e n t e n zu befreien.

Dazu unterteilte er das Buch in drei große Kapitel:

  • ein praktischer Teil u.a. mit Dampferfahrplänen und Hinweisen zum Passwesen
  • ein allgemeiner Teil zu Geschichte, Geographie und Kunst
  • die Beschreibung der „Merkwürdigkeiten".

Ersetzt man „Merkwürdigkeiten" durch „Sehenswürdigkeiten", haben wir die bis heute gültige Grundstruktur sämtlicher Reiseführer -- Karl Baedeker hatte den modernen Reiseführer erfunden.

Es war wohl das richtige Produkt zur richtigen Zeit, denn nicht nur die „Lohnbedienten" beklagten sich bald, dass immer mehr Reisende mit diesem Buch in der Hand aufkreuzten und ihnen die Geschäfte verdarben, auch die Presse war voll des Lobes, darunter die Rheinischen Provinzblätter:

Dem wackern Verleger war es darum zu thun, allen Anforderungen an ein Buch solcher Art zu entsprechen, und somit dem Bedürfnisse des Publikums abzuhelfen... Ganz besonders zu rühmen ist, daß jedesmal bei den Hauptorten über Gasthöfe, die man wählen kann, Lohnkutscherpreise, Kaffeehäuser, Bäder an Ort und Stelle, Eilwagen, Trinkgelder, Sehenswürdigkeiten in kleiner Schrift Alles das gegeben wird, wozu man sonst viele Fragen thun müßte.

Ebenfalls 1839 erschienen „Belgien" und „Holland", dann 1844 „Schweiz" und (erst) 1855 „Paris" aus der Hand von Karl Baedeker. „Deutschland und der Oesterreichische Kaiserstaat" von 1842 war nach Murray's Northern and Southern Germany abgefasst, wie im Vorwort unumwunden zugegeben wird. Mit Murray war er im Übrigen geschäftlich verbunden: Baedeker vertrieb Murrays Bücher in Deutschland, und umgekehrt verkaufte Murray Baedekers Reisehandbücher in England.
Zusammen mit der „Rheinreise" waren es also „nur" sechs Titel, die zu Lebzeiten Karl Baedekers den Erfolg und den Ruf seiner Reisehandbücher begründeten und nebenbei auch den Konkurrenten Murray aus dem Feld schlugen (von dem er ungeniert den später zum Markenzeichen gewordenen roten Einband ebenso übernahm wie die Sterne, die erstmals 1846 in der dritten Auflage von „Deutschland ..." auftauchen). Allerdings wäre es ein Irrtum zu glauben, Baedeker habe ausschließlich Reiseführer verlegt. Seine Verlagspalette war außerordentlich breit. Er verlegte u.a. Bücher zur Militärgeschichte, Technik, Archäologie, Jurisprudenz, Musik, Theologie und Schulbücher. Bis 1850 produzierte er deutlich mehr Nicht-Reiseführer. Erst nach seinem Tod bauten seine Nachfolger die Reiseführerproduktion aus und verkauften schließlich 1870 die anderen Produkte bis auf zwei lukrative Gebiete: Schulbücher und juristische Literatur, wozu bis 1893 die zweisprachige Ausgabe des Code Civil gehörte.

Doch der Erfolg der Reisehandbücher überstrahlte alles, dank Baedekers Arbeitsmethode und seiner Person. Er betrieb „Vor-Ort-Autopsie", indem er sich seine Ziele „erwanderte", was in die sprichwörtliche Baedeker'sche Genauigkeit, Gründlichkeit und Ehrlichkeit mündete. Letzteres nahm er so ernst, dass er in „Deutschland und der Oesterreichische Kaiserstaat" ohne Umschweife zugab:

Der Schreiber dieser Zeilen hat die Fahrt [von Pola nach Fiume] bei Nacht gemacht und bedauert, von ihr nichts vermelden zu können.

Er war unbestechlich. Frühe Ausgaben enthalten noch den Hinweis an Gastwirte, die Polizei zu rufen, sollte sich bei ihnen ein Herr Baedeker vorstellen (und um Vergünstigungen bitten) -- Karl Baedeker reiste immer inkognito und war klar in seinem Urteil: Wirtshaus Schwert -- schlecht. Man wollte schließlich unterwegs sein Geld sparsam ausgeben. Zum Reisen gehört in erster, zweiter und dritter Linie Geld, wusste er.

Für alles, was in seinen Büchern stand, garantierte Karl Baedeker mit seinem Namen. Schon zu Lebzeiten begann die Legendenbildung, die seine Nachfolger bewusst fortführten: Sämtliche nach ihm erschienen Reiseführer vermerken auf Seite 1 „von Karl Baedeker".
Er starb am 4. Oktober 1859. Dem Trauerzug zum Koblenzer Friedhof schloss sich, weiß die Vossische Zeitung, ein Fremder mit dem roten Buch in der Hand an als „Vertreter aller Baedeker-Freunde."

DIE SÖHNE

Karl Baedeker hatte drei Söhne: Ernst, Karl und Fritz. Nach seinem Tod übernahmen Ernst und Karl die Geschäfte. Sie wollten v.a. die fremdsprachigen Ausgaben ausbauen. Französischsprachige Baedeker gab es bereits seit 1832, englische Ausgaben wurden aber mit Rücksicht auf Murray nicht gemacht. Das änderte sich, als 1861 Baedekers „The Rhine" erschien und zu ersten Misstönen führte. Die Beziehung zerbrach völlig, als man 1862 mit einem deutschsprachigen London-Baedeker Murrays „Territorium" betrat.
Ernst starb bereits 1861. Schon 1869 war Fritz in die Verlagsleitung eingetreten. Mit Karl II betrieb er den Umzug nach Leipzig; seit 1872 residierte der Verlag in Deutschlands Buchhandelsstadt Nr. 1.

Unter Fritz erlangte der Verlag weltweiten Erfolg. Das deutschsprachige Programm wurde erheblich ausgebaut und gleichzeitig der internationale Markt ins Visier genommen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs entstanden Klassiker der Reiseführer-Literatur wie „Palästina und Syrien" (1875), „Ägypten" (1877), „Griechenland" (1883), „Russland" (1883) und „Nordamerika" (1893).

Blick in die Baedeker-Sammlung im Verlagshaus
Blick in die Baedeker-Sammlung im Verlagshaus

All diese Titel trugen die Handschrift von Fritz Baedeker. Die manchmal sehr persönlich geprägten, geradezu gemütvollen Ausführungen seines Vaters, die den Charme der ersten Baedeker ausmachten, wichen einer bewussten Versachlichung. Es wurde stichwortartig gerafft, wo immer möglich Abkürzungen eingesetzt und besondere Hinweise in Klammern angefügt. Geballte Information also, bei übersichtlicher Gliederung und ohne lyrische Ausschweifungen -- der typische, sachlich-knappe "Baedekerstil". Inhaltlich gewann die Kunstgeschichte an Gewicht, während etwa das Thema „fremde Küchen" eine völlig untergeordnete Rolle spielte. Besonderes Augenmerk dagegen galt präzisen Karten sowie den mit großem Aufwand hergestellten Panoramen.
Fritz Baedeker baute ein Netz fachkundiger Mitarbeiter und Redakteure auf und konnte berühmte Wissenschaftler als Autoren gewinnen. So stammt die Beschreibung Olympias im Band „Griechenland" von Wilhelm Dörpfeld (1853-1940), dem Grabungsleiter in Olympia, Nachfolger Heinrich Schliemanns bei den Grabungen in Troja und Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Athen. Für „Ägypten" verpflichtete er den Ägyptologen und Verfasser populärer Romane Georg Moritz Ebers (1837-1898) von der Universität Leipzig. Der machte sich, auch mit Baedekers Vorschuss in der Tasche, 1872 zu einer Reise nach Ägypten auf. Bei seiner Rückkehr 1873 hatte er zwar kein Manuskript parat, dafür aber einen von ihm erworbenen Papyrus, in Fachkreisen heute als „Ebers-Papyrus" bekannt als eine der frühesten Aufzeichnungen über altägyptische Medizin. Den Ägypten-Band musste ein anderer schreiben.
Höhe- und Endpunkt dieser großen Zeit war 1914 das Erscheinen von „Indien". Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs war es vorbei mit dem Reisen.

Am 1. Juli 1927 feierte die Belegschaft das 100-jährige Firmenjubiläum.
Am 1. Juli 1927 feierte die Belegschaft das 100-jährige Firmenjubiläum.

DIE ENKEL

Nach dem Tod von Fritz Baedeker 1925 übernahmen die Enkel Dietrich, Ernst II und Hans Baedeker („die heilige Dreieinigkeit") die Verlagsleitung. Zwar erschienen durchaus Nachauflagen mancher Klassiker, die Neuerscheinungen zeigen aber, wohin es Urlauber eher zog: Es erschien eine ganze Palette von Reiseführern über deutsche Regionen und immer noch die „Rheinreise", die inzwischen allerdings schon lange „Die Rheinlande" hieß. Doch Beginn der 1930er-Jahre befand sich der Verlag in ernsten Schwierigkeiten. Die Geschäftsführer beschlossen daher im Juli 1933, ein staatliches Darlehen zu beantragen. Zuständig war der dem Propagandaministerium unterstellte „Reichausschuss für Fremdenverkehr", wo man sofort erkannte, dass der Name Baedeker einen hervorragenden Klang in der Welt hatte, den die neuen Machthaber für sich nutzen konnten. Im Oktober 1934 erhielt der Verlag ein Darlehen in Höhe von 120 000 Reichsmark. Die Frage der Rückzahlung, die Baedeker nicht leisten konnte, wurde in den Folgejahren immer wieder genutzt, Druck auszuüben. Hielt sich in Bänden wie „Madeira" (1934) oder „Berlin" (1936 zu den Olympischen Spielen) der propagandistische Einschlag noch in Grenzen, war 1943 mit dem Erscheinen des Titels „Das Generalgouvernement" der Tiefpunkt erreicht: ein reines Propagandawerk zu dem einzigen Zweck, das besetzte Polen als seit jeher urdeutsch darzustellen.
Am 4. Dezember 1943 traf eine britische Fliegerbombe das Verlagshaus. Alle Geschäftsunterlagen, die Druckstöcke der Karten, das Archiv und das gesamte Lager verbrannten. Baedeker war am Ende.

VOM NEUANFANG BIS HEUTE

Nicht ganz. 1948 wurde der Neuanfang mit einem Bändchen „Leipzig" gewagt, doch nach Problemen mit der sowjetischen Besatzungsmacht zog der nunmehrige Verleger Karl Friedrich Baedeker, ein Neffe der „Dreieinigkeit", nach Malente in Schleswig-Holstein und 1956 nach Freiburg, wo er kleine Reiseführer über deutsche Städte herausgab. 1951 gründete er mit Kurt Mair in Stuttgart Baedekers Autoführer-Verlag. Die dort produzierten Reiseführer orientierten sich formal am 1938 erschienenen „Autoführer Deutsches Reich": Im Anschluss an die Kilometer für Kilometer akribisch aufgeführte Strecke folgte die Beschreibung der wichtigsten Städte in alphabetischer Reihenfolge. Die alphabetische Anordnung der Reiseziel-Beschreibungen wiederum war die Basis der 1979 aufgelegten Reihe der Baedeker-Allianz-Reiseführer, den ersten vierfarbigen Reiseführern überhaupt und den ersten mit einer Extrakarte.

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1997 wurden beide Verlage unter dem Dach von Mairs Geographischem Verlag (seit 2005 Mairdumont) vereint. Seither haben die Reiseführer von Baedeker mehrfach grafische und konzeptionelle Auffrischungen erfahren, doch geblieben ist das alphabetische Prinzip. Darin unterscheiden sie sich von allen anderen Reihen im mittlerweile kaum mehr überschaubaren Reiseführer-Markt.

Letztendlich steckt aber in allen heute publizierten Reiseführern eine Prise vom Original. Vielleicht ist es doch nicht zu hoch gegriffen, was die Londoner „Times" postuliert hat:

Karl Baedeker hat die moderne Welt ebenso entscheidend verändert wie Hegel und Marx.

Bei ihm ist es allerdings besser ausgegangen.